Telfs Pestopfer in Oberland DABEI

In Telfs gefundenes Pestopfer-Skelett erzählt von kurzem, hartem Leben

Im Jahr 1634 erlebte Telfs eine schwere Katastrophe. Rund 200 Menschen, ein Fünftel der Bevölkerung, starben an der Pest. Über eines der namenlosen Opfer, die der „Schwarze Tod“ damals forderte, wissen wir jetzt etwas mehr. Eine anthropologische Analyse gibt Einblicke.

Beim idyllischen Moritzen-Kirchlein etwas außerhalb von Telfs fand 2018 unter der Leitung von Harald Stadler und Florian Messner vom Institut für Archäologie der Universität Innsbruck eine Ausgrabung statt. Man wollte herausfinden, ob der in der Überlieferung hier verortete Pestfriedhof tatsächlich existiert. Dieses Ziel wurde voll erreicht. Man stieß auf Skelettreste und Kleinfunde, die in die Zeit um 1634 passen. Und eine Analyse im Forschungszentrum EURAC in Bozen konnte sogar den Pesterreger Yersinia pestis nachweisen. In der Blutbahn eines Zahnes wurde zwar nicht das längst abgestorbene Bakterium selbst, wohl aber dessen DNA identifiziert.

Trotz der Erfolge blieb eine Frage offen: Wer waren die Menschen, deren Leben auf so tragische Weise endete und die hier bestattet liegen? Schriftliche Quellen geben keine Auskunft, denn die Sterbebücher der Pfarre Telfs beginnen erst im Jahr 1703.

Um wenigstens einige Daten zu erhalten, veranlasste die Kulturinitiative Hörtenberg, die schon einen Teil der Ausgrabung finanziert hat, eine anthropologische Analyse. Die Südtiroler Anthropologin Daniela Tumler, die derzeit in Großbritannien arbeitet, analysierte ein weitgehend erhaltenes Skelett, das den Großteil der geborgenen Gebeine ausmacht. Im Juli stand das Telfer Skelett sogar im Mittelpunkt einer Lehrveranstaltung Tumlers für amerikanische Austauschstudenten an der Innsbrucker Uni.

Die Ergebnisse der Analyse lassen das unbekannte Pestopfer zumindest etwas aus der Anonymität und dem Dunkel der Vergangenheit heraustreten. Wie festgestellt wurde, handelt es sich um eine 19- bis 20-jährige Frau. Anhand der Knochen sind auch Aussagen über den Gesundheitszustand und die Lebensumstände der vor fast 400 Jahren verstorbenen Telferin möglich. So wurde etwa an vier Zähnen von Karies gefunden. Ein Zahn ist besonders stark zerstört und dürfte schmerzhaft gewesen sein. Die Schäden sind wahrscheinlich die Folge kohlenhydratreiche Nahrung. Hier ist an das Getreide zu denken, das in früheren Jahrhunderten die Hauptnahrung der einfachen Bevölkerung war. Dazu kommt, dass Zahnpflege damals nicht üblich war. Die Zähne zeigen auch Abnützungsspuren. Diese sind wegen des geringen Alters der Verstorbenen zwar nicht dramatisch, aber ebenfalls zeittypisch. Vor allem der von den Mühlsteinen abgeriebene feine Sand, der sich ständig ins Mehl mischte, setzte den Zähnen unserer Vorfahren stark zu.

Körperliche Probleme lassen sich auch aus charakteristischen Veränderungen einzelner Knochen ablesen. Sie deuten auf Stressfaktoren hin. Als Auslöser kommen Infektionen, Vitamin- und Eisenmangel, aber auch unzureichende Ernährung – sprich Hunger – in Frage. Diese Befunde lassen auch eine Schwächung vom Immunsystem vermuten, die das Todesrisiko im Zuge der Pestinfektion deutlich erhöht haben dürfte.

Interessantes verraten auch die Muskelansatzstellen an den Knochen. Sie zeigen, dass die junge Frau zu Lebzeiten die Arme durch ständiges Heben und Senken stark beanspruchte, so wie es etwa bei der Feldarbeit oder ähnlichen Tätigkeiten üblich ist. Auch die Muskelansätze an den Beinen verraten intensive einseitige Belastung, wahrscheinlich durch häufiges Gehen in steilem Gelände. Insgesamt stellte die Anthropologin für das Telfer Pestopfer „einen sehr aktiven Lebensstil, der die Muskulatur sehr beanspruchte“ fest. Auf den Punkt gebracht: Die junge Frau musste ständig schwer arbeiten und hatte wohl ein hartes und entbehrungsreiches Leben, ehe sie mit kaum 20 Jahren der Seuche zum Opfer fiel und bei St. Moritzen beerdigt wurde.

Auch wenn das Telfer Pestopfer weiterhin namenlos bleibt, sollen die Gebeine nicht wie sonst bei archäologischen Funden üblich im Museum verbleiben. Es ist geplant, die sterblichen Überreste nach dem endgültigen Abschluss der Untersuchungen an ihrem Fundort in St. Moritzen erneut zu bestatten.

Titelbild: Anthropologin Daniela Tumler mit in Telfs geborgenen Skeletteilen.

Foto: MG Telfs/Dietrich