Helga Rohra referierte in Zams

Helga Rohra folgte kürzlich der Einladung des St. Vinzenz Bildungszentrums für Gesundheitsberufe. Die ehemalige Dolmetscherin erhielt mit 55 Jahren die Diagnose Lewy-Body-Demenz. Seit Jahren ist die 1953 Geborene als Aufklärerin, Mutmacherin – als Demenzaktivistin mit großem Erfahrungsschatz unterwegs und hält packende Vorträge. Die Auszubildenden und Studierenden des BiZ in Zams waren begeistert vom Auftritt der dynamischen Münchnerin.

Weltweit leben 51 Millionen Menschen mit einer Demenzdiagnose – Demenz ist ein Überbegriff für 140 verschiedene Formen dieser Erkrankung, zu der Alzheimer als wohl bekannteste Art zählt. Demenz ist auch ein wichtiges Unterrichtsthema am BiZ in Zams. Direktorin Anneliese Flasch, MSc, MA, ist es ein großes Anliegen im Rahmen der Ausbildung auch lebendige und praxisbezogene Einblicke zu vermitteln. „Mit Helga Rohra ist es gelungen, eine starke Vortragende zu einem besonders wichtigen Thema zu gewinnen, die auf nationalen und internationalen Demenzkongressen, Tagungen und in TV-Sendungen auftritt sowie 2014 für ihren Einsatz für die Rechte von Menschen mit Demenz den Deutschen Engagementpreis erhielt“, erklärt die Direktorin.

Der lange Weg bis zur Diagnose

Der allgemeinen Vorstellung, dass Demenz nur ältere Menschen betrifft, entspricht Helga Rohra nicht. Bereits mit knapp über 50 Jahren entwickelte die viel beschäftigte und erfolgreiche Frau die ersten Symptome. Als Dolmetscherin war sie auf Übersetzungen im medizinischen Bereich, im Besonderen im neurologischen Fachgebiet spezialisiert. Sie sprach sieben Sprachen und die ersten Ausfälle äußerten sich im Vergessen von Vokabeln, was Helga Rohra noch auf Stress zurückführte und zu überbrücken versuchte. Als sie plötzlich ihren Computer und ihre Kaffeemaschine nicht mehr bedienen konnte und sich in verschiedenen Situationen vollkommene Orientierungslosigkeit zeigte, war ihr klar, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie vergaß sämtliche Sprachen mit Ausnahme von Deutsch und Englisch, das Chaos um sie herum wuchs. Helga Rohra dachte an ein Burnout und versuchte ihr Leben auszubalancieren und handschriftlich ein Tagebuch mit ihren Ausfällen zu führen – noch ohne jede ärztliche Hilfe. Plötzlich begannen Halluzinationen, in denen sie sich selbst in ihrer Vergangenheit, als Kind oder als Jugendliche wieder sah. Diese Bilder wurden zum ständigen Begleiter. Die Situation zog sich über Monate und Helga Rohra beschreibt sie im Vortrag wie folgt: „Es ist eine gewaltige Erfahrung für den Verstand, wenn alles fremd ist. Wer jünger ist, überlegt und reflektiert diesen Zustand auch stärker.“ Ein erster Kontakt mit einem Mediziner im Bekanntenkreis verlief aufgrund ihrer bekannten beruflichen und privaten Situation, als alleinerziehende Mutter eines autistischen Sohnes, nicht zielführend. Ein Burnout wurde vermutet und eine lange Auszeit angeraten.

Gewissheit, Trauer und Neuanfang

In ihrem Vortrag schildert Helga Rohra auch eingängig, wie sich ihre Freundschaften und Beziehungen zu anderen Menschen veränderten – wie sich viele in Hilflosigkeit von ihr abwandten. Nachdem sich ihre Symptome über mehr als ein Jahr erstreckten, begab sie sich zur Abklärung in ein Demenzzentrum. Die Diagnose einer Lewy-Body-Demenz mit zu erwartendem Eintritt einer Parkinson-Erkrankung wurde gestellt. „In diesem Moment war ich nicht beeindruckt und nicht traurig. Ich habe den Arzt nicht gefragt, was er mir geben kann, sondern was ich aktiv tun kann, um meinen Zustand zumindest zu halten“, erklärt Rohra. Die Diagnose beschreibt sie als lebensveränderndes Ereignis, dem ein Jahr tiefer Trauer folgte. „Ich habe nur noch geweint. Ich habe meine kognitiven Fähigkeiten verloren, konnte nicht mehr machen, was ich früher gemacht habe und viele vertraute Menschen haben sich von mir entfernt“, erklärt sie ihre anfängliche Verzweiflung. Nach einem Jahr hat sie sich entschieden wieder aktiv zu werden, sich in den Verlauf ihrer Krankheit wieder mit dem Wunsch nach Veränderung einzumischen. Sie begann zu Malen, ihre Ernährung umzustellen und sich auf Spiritualität und Glauben und vor allem ihre noch vorhandenen Fähigkeiten zu fokussieren.

Bereicherndes Hintergrundwissen lebendig vermittelt

Helga Rohra plädiert, geprägt durch ihre Erfahrung, für eine umfassende psychosoziale Begleitung ab der Zeit der Diagnose. „Man muss einen Weg finden, um stark zu sein. Die Demenz ist eine Einschränkung, sie ist das Ende eines Lebensabschnittes, aber sie ist auch der Beginn von etwas Neuem, es bestehen ja immerhin noch vorhandene Ressourcen. Ich will nicht über das Elend, sondern über das Licht sprechen. Mut machen und sensibilisieren – Mitleid ist nicht angebracht, stattdessen wünsche ich mir Inklusion. Ich bin immer noch Ich“, beschreibt sie die Philosophie hinter ihren mittlerweile 1.113 Präsenzvorträgen, die sie international gehalten hat und den zwei Büchern, die sie nach ihrer Diagnose mit Assistenz geschrieben hat. Ihr Allgemeinwissen sei verschwunden, sämtliche Sprachen und die Fähigkeit einen Computer zu bedienen auch. Ihr Alltag muss einer präzisen Struktur folgen und auch von Helfern begleitet werden. Die mittlerweile 68-Jährige steht dazu – selbstbewusst und schlagfertig steht sie auf der Bühne und erzählt packend und klar ihre Geschichte. „Meine jahrelange Tätigkeit, auch als Vortragende an Universitäten und die vielen Sprachen haben mein Gehirn trainiert. Ich habe dadurch die Fähigkeit viel und gut zu sprechen nicht verlernt. Handschriftlich kann ich noch alles festhalten und meine Bücher lese ich immer wieder, damit ich den Inhalt behalte“, erklärt sie ihren ZuhörerInnen. Die Auszubildenden und Studierenden des BiZ waren sehr beeindruckt von Helga Rohras Vortrag, der als lebendig gestaltetes Unterrichtselement viel Hintergrundwissen zum Thema Demenz sowie neue Perspektiven und Chancen im offenen Umgang mit der Erkrankung bot.

Für die Auszubildenden und Studierenden des BiZ Zams war der Vortrag von Helga Rohra eine Bereicherung, die neue Perspektiven zum Thema Demenz aufzeigte.
Fotos: BiZ/Agentur Polak