Die Etablierung eines Sozialmarktes für Menschen an der Armutsgrenze hat der Telfer Gemeinderat in seiner gestrigen Sitzung im Grundsatz beschlossen. Ebenso eine entsprechende Anschubfinanzierung in Höhe von 30.000,- Euro. Die Betreiberin »soogut« gemeinnützige GmbH stellt die Eröffnung des Ladens in der Obermarktstraße 23 (ehemals Café Jimmy) bereits für Herbst 2023 in Aussicht. Fünf Tage die Woche könnten Berechtigte, für die der tägliche Einkauf sonst nicht mehr leistbar ist, dort zu sehr günstigen Preisen Lebensmittel beziehen.
Nach langer Diskussion votierten bis auf sechs Enthaltungen (NEOS/DEIN T/BLT) alle Gemeinderät/-innen dafür, dem Antrag der SPÖ Telfs und der entsprechenden Empfehlung des Ausschusses für Familien, Senior/-innen und Soziales zu folgen und den Betrieb eines Sozialmarktes grundsätzlich auf Schiene zu bringen. „In unserer Gemeinde haben wir 400 Haushalte mit Mindestsicherung, die um einen Heizkostenzuschuss angesucht haben. Außerdem gibt es rund 250 Senior/-innen mit Mindestpension. Statistisch sind es sogar 2.000 Telfer/-innen, die mit sehr wenig Geld auskommen müssen“, rechnete Sozialausschuss-Obfrau GV Silvia Schaller (WFT) in ihrem Bericht vor. Es solle Verantwortung und Auftrag der Gemeinde sein, diesen Menschen zu helfen. Ein Sozialmarkt sei deshalb angesichts der momentanen Lage ein Schritt in die richtige Richtung.
Sozialmarkt für die Großregion Telfs.
Bgm. Christian Härting (WFT) zog den Kreis größer: „Wir reden in der Region Telfs mit Umlandgemeinden über ein Einzugsgebiet von ca. 30.000 Menschen. Laut Berichten sind fast 18 Prozent der Bevölkerung vom Einkommen her armutsgefährdet. Das ergibt gut 5.000 potenzielle Kund/-innen für einen Sozialmarkt.“ Weshalb er auch keine Konkurrenzsituation zu den bestehenden Einrichtungen sehe: „Wir haben ein sehr gutes Sozialsystem in unserer Gemeinde, u.a. mit dem Unterstützungsverein »Telfer helfen Telfern«, der Aktion »LebensMittel« der Vinzenzgemeinschaft (jeden Samstag Ausgabe von kostenlosen, gespendeten Lebensmitteln an bedürftige Telfer/-innen), mit dem »Kleiderladen« des Roten Kreuzes und mit dem »WAMS«-Laden. Der Sozialmarkt stellt eine Ergänzung des Angebots dar.“ Die ganzwöchige Öffnung nehme viel Druck von den einkommensschwachen Familien in der Region.
Erfahrene Betreiber.
Als vielversprechende Betreiberin hat der Sozialausschuss nach mehreren Sondierungsgesprächen und Besuchen in Niederösterreich und Telfs die gemeinnützige GmbH »soogut« namhaft gemacht. Das Unternehmen mit Sitz in St. Pölten betreibt bereits seit vielen Jahren an 12 fixen und mehreren mobilen Standorten Sozialmärkte im Osten Österreichs. In Tirol soll Telfs der erste Standort werden. Menschen, die über einen »soogut«-Einkaufspass verfügen, können im Sozialmarkt von Montag bis Freitag, 10 bis 15 Uhr, qualitativ einwandfreie Lebensmittel und Alltagsgüter wie Hygieneartikel und Reinigungsprodukte zum einem Drittel des Handelspreises kaufen. Die Ersparnis beträgt bis zu 70 Prozent. Die Bezugsberechtigung im Geschäft ist an die jeweils gültigen Einkommensgrenzen an der Armutsgefährdungsschwelle gebunden. Aktuell liegt diese in Österreich bei 1.392,- Euro monatlich für einen 1-Personen-Haushalt. Unter Vorlage der entsprechenden Nachweise kann der Einkaufspass kostenlos im Sozialmarkt beantragt werden, gültig für ein Jahr ab Ausstellungsdatum.
Das Sortiment setzt sich vorwiegend aus Warenspenden – großteils von Lebensmittelkonzernen und Produzenten aus ganz Österreich und der Umgebung – zusammen und variiert jeden Tag. In die Regale gelangen Produkte mit nahem Ablaufdatum, aus Überproduktionen oder Fehlbestellungen, mit Etikettenproblemen, aber auch mit Spendengeldern zugekaufte Lebensmittel und gefüllte Einkaufswagen von privaten Gönnern. Kund/-innen können frei über ihren Einkauf entscheiden, die Abgabe erfolgt in Haushaltsmengen. Alkohol wird übrigens nicht verkauft, auch den Verkauf von Kleidung hat man in den Vorgesprächen angesichts der vorhandenen Infrastruktur ausgeschlossen.
Als Standort wurde von Sozialausschuss und Betreiberin das Geschäftslokal in der Obermarktstraße 23 (ehemals Café Jimmy) für geeignet befunden. Dieses habe die passende Größe, liege zentral und doch etwas diskret und sei bestens an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Auch die Zulieferung sei problemlos möglich.
Viel Beifall, aber auch Bedenken.
Grundsätzlich erntete der Antrag in den Diskussionsbeiträgen der im Gemeinderat vertretenen Fraktionen breite Zustimmung. Bedenken hinsichtlich Businessplan und Produktsortiment äußerten die NEOS: „Wir müssen genau hinschauen, ob die Betreiber die lokalen Gegebenheiten mit den bestehenden Angeboten im Auge haben. Wir haben ein funktionierendes System zu verlieren“, fürchtete Vize-Bgm. Johannes Augustin die Konkurrenz am heimischen Sozialsektor und damit einhergehende Lebensmittelknappheit für die Tafel der Vinzenzgemeinschaft. GR Alfred Mühl (MFG), seit Beginn der Gemeinderatsperiode Verfechter und Initiator eines Sozialmarktes: „Die Betreiber sind keine Newcomer, die Zeit drängt, wir sollten die Entscheidung nicht verzögern.“ Antragstellerin GR Alexandra Lobenwein (SPÖ) schlug in dieselbe Kerbe: „Bedenken hintanstellen und einfach machen. Die Frage, woher die Lebensmittel kommen, müssen wir uns ja nicht stellen.“ Es sei für ihn eine „befremdliche Diskussion“, meinte GR Michael Ebenbichler (FPÖ): „soogut hat zahlreiche Filialen und sich eine Struktur aufgebaut. Der soziale Gedanke muss da sein.“
Auch die GRÜNEN äußerten sich pro Grundsatzbeschluss: „Man kann in raueren Zeiten wie diesen nicht genug soziale Projekte forcieren“, so GR Theresa Schromm. Listenführer GV Christoph Walch ergänzte: „Das Zielpublikum braucht es dringend. Es darf aber in Telfs unter keinen Umständen zu einer Kannibalisierung zwischen den Anbietern auf diesem Sektor kommen.“
Eine „Stigmatisierung“ ortete GV Norbert Tanzer (DEIN T), dem der Markt „nicht sehr sinnvoll“ vorkam: „Viele werden das nicht mögen, dort einkaufen zu gehen.“ GV Alexander Schatz entgegnete: „Eine Stigmatisierung erfolgt nicht, wenn ich in einen Laden gehen und normal einkaufen kann. Mit dem fortschreitenden Tempo der Teuerung müssen wir rasch handeln. Ich appelliere für eine schnelle Lösung.“
Mit sechs Enthaltungen (Vize-Bgm. Johannes Augustin, GR Daniela Brunner, GR Stefan Stillebacher, GR Ahmet Demirci (alle NEOS), GV Norbert Tanzer (DEIN T) und Ersatz-GR Anna-Theresa Schatz (BLT) wurde der Antrag schließlich durchgewunken. Ebenso eine Anschubfinanzierung der Gemeinde von 30.000,- Euro für die Einrichtung und das erste Betriebsjahr. Auch will man das Land Tirol mit einer weiteren Anschubfinanzierung bzw. Subvention ins Boot holen, weitere Gespräche mit Landesrätin Eva Pawlata werden folgen.
Titelbild: In der Obermarktstraße 23 soll der »soogut«-Sozialmarkt bis Herbst 2023 entstehen.
Foto: MG Telfs/Pichler