Mit 30. April 2023 endete für den Rettungsdienst Tirol der bisher längste Einsatz, der COVID-19-Einsatz. Nach den turbulenten Jahren der Pandemie rücken nun andere Herausforderungen in den Mittelpunkt. Die Entlastung des Personals, eine gesicherte Finanzierung, qualitative Weiterentwicklungen, die Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten im Rettungsdienst oder die zeitgerechte Beschaffung von Fahrzeugen und Material auf den angespannten Liefermärkten sind nur einige davon.
Zu den strategischen Zielen des Roten Kreuzes gehört es, den Menschen ein Leben in Gesundheit zu ermöglichen und im Notfall humanitäre, medizinische, psychologische und soziale Hilfe zu leisten. Der Rettungsdienst trägt zur Erreichung dieser Ziele wesentlich bei. Als sensible Infrastruktur ist er aber auch gefordert, permanent an seiner eigenen Verbesserung zu arbeiten. Die Menschen in Tirol erwarten sich als Teil eines verlässlich funktionierenden Gesundheitssystems zurecht auch einen verlässlich funktionierenden Rettungsdienst, doch um einen solchen sicherzustellen, bedarf es politischer Unterstützung und vor allem laufender Entwicklungen, wobei Entwicklungspotenziale gegeben sind.
2022 mit steigenden Einsatzzahlen.
In den letzten Jahren sind die Zahlen im Rettungsdienst – mit Ausnahme während der COVID-Quarantänezeiten – kontinuierlich gestiegen und dieser Trend setzte sich auch 2022 fort. Insgesamt ist der Rettungsdienst im Vorjahr 196.442 Mal zu einem qualifizierten Krankentransport und 194.099 Mal zu einem Notfall gerufen worden. Dazu kamen zirka 1.300 First Responder-Ausrückungen und 1.115 Mal wurden Sanitäter:innen in ihrer Freizeit als Team Österreich Lebensretter:innen zu einem Einsatz gerufen. „Damit haben sich die Einsatzzahlen in der Notfallrettung gegenüber dem Referenzjahr 2019 um 16,6 Prozent erhöht“, berichtet Rettungsdienst-Geschäftsführer Andreas Karl. Als besonders herausfordernd gestaltete sich für Karl der Umstand, dass die stetig steigenden Einsatzzahlen seit 2013 mit einer nahezu unveränderten Menge an Fahrzeugen von den Teams bewältigt wurden. Neben der demographischen Entwicklung und einer steigenden Inanspruchnahme des Rettungs- und Krankentransportdienstes durch die Bevölkerung haben auch die Entwicklungen im Gesundheitsbereich immer Auswirkungen auf den Rettungs- und Krankentransport. Als Beispiele hierfür nennt Karl die geringer werdende Patient:innen-Versorgung vor Ort oder die zunehmende Spezialisierung der Behandlungseinrichtungen. Zwar wurden die Mittel für die Notfallrettung im Jahr 2022 gering erhöht, doch das ist nur als „Tropfen auf dem heißen Stein“ zu werten.
Neben der Anpassung der Anzahl an Rettungsmittel müssen alle im Gesundheitswesen an Lösungskonzepten arbeiten, sodass den hilfesuchenden Personen künftig der „Best Point of Service“ angeboten werden kann. Alle Stakeholder sind daher angehalten, rasch neue Konzepte für die Versorgung von hilfesuchenden Personen umzusetzen. „Unsere Hauptaufgabe als Rettungsdienst ist es, die Rettungs- und Krankentransporte sicherzustellen. Darüber hinaus sehen wir uns aber auch als zuverlässige Partner:in bei der Entwicklung und Etablierung von neuen Versorgungskonzepten für die Menschen“, sagt Karl.
Personal entlasten.
Die Tätigkeit des/der Rettungssanitäter:in wird gemeinhin als Berufung wahrgenommen. Die Aufgabe ist abwechslungsreich und sie stiftet Sinn. 566 hauptberufliche Rettungssanitäter:innen sind im Rettungsdienst Tirol beschäftigt, dazu kommen 2.335 freiwillige Mitarbeiter:innen, 473 Zivildiener und 32 Mitarbeiter:innen, die ihr freiwilliges Sozialjahr im Rettungsdienst absolvieren. Ergänzt werden die Teams mit 292 Notärzt:innen sowie 27 niedergelassenen Notärzt:innen. Die Schichten dauern in der Regel 12 Stunden, in einer durchschnittlichen Tagschicht während der Woche sind 262 Sanitäter:innen im Dienst, in einer durchschnittlichen Nachtschicht während der Woche rund 60 Sanitäter:innen. „Diese Zahlen mögen als ausreichend empfunden werden, doch mit dem steigenden Fahrtenaufkommen wachsen Druck und Belastung für die Teams. Der Rettungsdienst fordert nicht nur körperlich, sondern verlangt von den Mitarbeiter:innen auch emotional und psychisch einiges ab“, so Wilfried Unterlechner, zuständiger Geschäftsführer für Personal im Rettungsdienst Tirol. „Erste Maßnahmen, um die Belastungen zu reduzieren, haben wir bereits in die Wege geleitet. Dazu gehören ein verbesserter Kollektivvertrag und Entwicklungen, welche die Arbeitsplatzsituation inklusive Nachhaltigkeit und somit die Zufriedenheit insgesamt verbessern. Uns ist es ein zentrales Anliegen, dass die Mitarbeiter:innen entlastet werden und gesund bleiben. Nur so können wir den Personalstand in Zukunft absichern“, sagt Unterlechner. Ähnlich verhält es sich bei den Zivildienern. „Auch hier sind wir gefordert, vor allem für die Einrücktermine im Frühjahr genügend Zivildiener zu haben“. Und Unterlechner weiter: „Mit entsprechenden Bewerbungsmaßnahmen soll es gelingen, ausreichend Zivildiener zu gewinnen. Uns geht es aber auch darum, dass die Zivildiener neun Monate absolvieren, die ihnen einen Mehrwert im Leben bieten“.
Qualität im Rettungsdienst laufend steigern.
Eine laufende Verbesserung der Ausbildung von Rettungs- und Notfallsanitäter:innen, Fortbildungsmaßnahmen, ein durchdachtes Qualitäts- und Beschwerdemanagement sowie ein etabliertes CIRS-System (Critical Incident Reporting System) sind nur einige der Maßnahmen, die zur laufenden Qualitätssteigerung im Rettungsdienst beitragen. Eine Besonderheit des Rettungsdienstes Tirol ist die organisationsunabhängige, durchgehende Qualitätskontrolle durch den vom Land Tirol bestellten Ärztlichen Leiter Rettungsdienst, Adolf Schinnerl. Für Schinnerl zeigt sich der hohe Qualitätsanspruch im Rettungsdienst Tirol unter anderem dadurch, „dass sowohl für Rettungssanitäter:innen als auch für Notfallsanitäter:innen eine wesentlich höhere Fortbildungsverpflichtung vorgeschrieben ist, als dies das Österreichische Sanitätergesetz (SanG) vorsieht. Tiroler Rettungssanitäter:innen absolvieren pro Jahr mindestens 16 Fortbildungsstunden, Notfallsanitäter:innen mindestens 20 Fortbildungsstunden; laut SanG sind 16 Stunden in zwei Jahren vorgeschrieben. Dazu kommt, dass die Fortbildungsverpflichtung durch die Mitarbeiter:innen im Rettungsdienst Tirol übererfüllt wird. 2022 haben die Notfallsanitäter:innen durchschnittlich 24,7 Fortbildungsstunden und die Rettungssanitäter:innen durchschnittlich 16,9 Fortbildungsstunden absolviert“, erklärt Schinnerl. Schon jetzt ist an den meisten in der Notfallrettung eingesetzten Rettungsdienstfahrzeugen zumindest ein/e Mitarbeiter:in mit der höheren Qualifikation „Notfallsanitäter:in“ eingesetzt. Schinnerl: „Das nächste Ziel zur Qualitätssteigerung im Rettungsdienst ist es, diesen Standard gesichert für alle in der Notfallrettung eingesetzten Fahrzeugen festzulegen“.
Angespannte Situation am Beschaffungsmarkt.
Qualifiziertes Personal ist die eine Seite, zukunftsfit ausgestattete Rettungsfahrzeuge in ausreichenden Mengen die andere, die beide zum Funktionieren des Rettungsdienstes beitragen. Waren die internationalen Beschaffungsmärkte für Fahrzeuge, Ersatzteile oder Verbrauchsmaterialien für den Rettungsdienst vor einigen Jahren noch entspannt, so hat sich die Lage während der COVID-Pandemie – und insbesondere im vergangenen Jahr – dramatisch verschärft. Lange Lieferzeiten, speziell bei der Fahrzeugbeschaffung, aber auch die Teuerungen stellen den Rettungsdienst vor neue Herausforderungen. Thomas Wegmayr ist als Geschäftsführer für die Beschaffung und Logistik zuständig und sieht die fehlende Planbarkeit als derzeit größtes Problem: „Die aktuellen Beschaffungsvoraussetzungen führen dazu, dass wir viel Geld in unseren bestehenden Fuhrpark investieren müssen, weil wir uns nicht darauf verlassen können, dass wir rechtzeitig Neufahrzeuge für den Austausch zur Verfügung haben. Erfreulich hingegen ist, dass wir heuer noch die ersten 15 Fahrzeuge eines neuen Modells für die Notfallrettung ausliefern können, bei dessen Konzeption und Produktion besonders viel Augenmerk auf Qualität, Ausstattung und Ergonomie gelegt wurde. Es ist wichtig, dass wir den Sanitäter:innen einen ergonomisch durchdachten Arbeitsplatz bieten, der sie in der täglichen Routine bestmöglich unterstützt“, so Wegmayr. Dazu kommt, dass das Rote Kreuz aufgrund seiner strategischen Ziele in der Zukunft deutlich mehr in den Bereich der Nachhaltigkeit investieren muss. „Diese Nachhaltigkeitskonzepte“, erklärt Wegmayr, „betreffen insbesondere auch den Fuhrpark und die Materialbeschaffung. Unser Ziel ist eine möglichst nachhaltige Beschaffung mit Verbesserungen in den drei Dimensionen: Umwelt, Soziales und Ökonomie. Es muss uns gelingen, dass wir künftig Fahrzeuge und Materialien zeitgerecht in ausreichenden Mengen zur Verfügung haben, welche kritischen Nachhaltigkeitskriterien standhalten“, sagt Thomas Wegmayr.
Finanzierung des Rettungsdienstes sicherstellen.
Der Rettungsdienst Tirol finanziert sich zu knapp 95 % aus öffentlichen Erlösen (Land Tirol, Kassen, Gemeindebeiträge). Im Jahr 2022 konnte aus dem Rettungsdienst ein positives Ergebnis erzielt werden, welches allerdings noch der Bestätigung durch die Wirtschaftsprüfung bedarf. Besonders positiv wirken sich der fordernde, aber fair abgegoltene COVID-Einsatz und die nach der Pandemie wieder deutlich gestiegenen Privaterlöse von nicht in Österreich versicherten Personen auf das Bilanzergebnis aus. Auch konnten in Teilbereichen COVID-Förderungen geltend gemacht werden. Als erschwerende Faktoren zeigen sich allerdings der Rückgang an freiwilligen Mitarbeiter:innen und Zivildienern, die durch hauptamtliche Mitarbeiter:innen ersetzt werden mussten. Dazu kommt die enorme und durch keine Wertsicherungsklauseln abzufedernde Kostensteigerung gerade bei Treibstoffen, Materialien oder Fahrzeugen. Wilfried Unterlechner, wirtschaftlicher Geschäftsführer im Rettungsdienst Tirol, bezeichnet die finanzielle Lage als stabil, sieht aber auch Herausforderungen. „Dazu gehören insbesondere die regelmäßig erkennbare Bedarfssteigerung beim vertraglich fixierten Auftragsvolumen und der zunehmende Mangel an freiwilligen Mitarbeiter:innen und Zivildienern, die durch deutlich höhere Kosten bei ebenso immer knapper verfügbarem hauptamtlichen Personal kompensiert werden müssen“. Unterlechner weiter: „Um die finanzielle Situation langfristig sicherzustellen – und das ist eines unserer primären Ziele – ist es erforderlich, dass wir die an sich guten Bestimmungen des Rettungsdienstvertrages an die sich inzwischen deutlich geänderte Situation hinsichtlich Bedarf und Kostenwahrheit heranführen. Dies gelingt nur mit vereinten Kräften und einem umfassenden Nachdenkprozess über langfristig funktionierende Lösungen, bei denen es keine Denkverbote geben kann. Letztlich darf unser gemeinsames Ziel nur sein, dass die Menschen, die Hilfe benötigen, diese rechtzeitig, mit den richtigen Mitteln und in der passenden Qualität erhalten. Wir sind dabei gefordert, diese Hilfe so effizient wie möglich anzubieten“.
Learnings aus dem COVID-19 Einsatz.
Als am 11. März 2020 die erste Screeningstraße am Baggersee in Innsbruck seinen Drive In geöffnet hatte, war dies nicht nur die erste professionelle Einrichtung dieser Art in Österreich, sondern der Beginn des größten Gesundheitseinsatzes für den Rettungsdienst in Tirol. 1.145 Tage später, am 30. April 2023, schlossen nun die Screeningstraßen in Tirol und die mobilen Teams in den Bezirken stellen ihre Tätigkeit ein.
Dazwischen liegt ein einziger Superlativ: Insgesamt wurden in der Zeit über zwei Millionen PCR Abstriche gemacht, bis zu 13 Rotkreuz-Teststationen waren tirolweit zeitgleich geöffnet und bis zu 15 mobile Testteams standen zu Spitzenzeiten im Einsatz. Darüber hinaus wurden alleine in Innsbruck Stadt im Zeitraum Dezember 2020 bis November 2021 rund 375.500 Antigentest zusätzlich zu den PCR Testungen durchgeführt.
1.806 Mitarbeiter:innen mussten im Bereich der Abstrichnahme geschult werden. Der Tag mit den meisten Testungen war der 21. November 2021. Allein an dem Tag haben die Teams 9.525 Abstriche genommen. „Unsere Herausforderungen“, so Rotkreuz-Chefarzt Thomas Fluckinger, waren zu Beginn vor allem die vorherrschende Materialknappheit bei Schutzausrüstung, die geringe Anzahl an Testkapazitäten und logistische Engpässe. Zudem gestaltete sich insbesondere das Warten auf die ersten Impfstoffe als Wettlauf. „Uns war es besonders wichtig, dass unsere Mitarbeiter:innen gesund bleiben, denn größere Mitarbeiter:innen-Ausfälle hätten dramatische Folgen gehabt. Unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie gab es daher strikte hygienische Schutzmaßnahmen für unsere Teams und mit Verfügbarkeit der Impfstoffe haben wir mit den flächendeckenden Immunisierungen begonnen. So konnten gröbere personelle Ausfälle weitgehend vermieden werden“, schildert Fluckinger aus einer für den Rettungsdienst sehr spannenden Zeit. Aus dem längsten Einsatz zieht das Rote Kreuz mehrere Erfahrungen, darunter eine bessere Ressourcenoptimierung, eine Erhöhung der Interoperabilität innerhalb des Rotkreuz-Gefüges und den Partnerorganisationen, sowie die Einsatzbereitschaft und das Durchhaltevermögen der Mitarbeiter:innen. „Diese Learnings werden uns bei künftigen Einsätzen helfen, dass wir als Rotes Kreuz noch besser, schneller und schlagkräftiger auf Ereignisse reagieren können, um den Menschen effizient und zielgerichtet zu helfen.“ sagt Fluckinger.
Das Land Tirol als unerlässliche Partner:in.
Für Landesrätin Cornelia Hagele ist der Rettungsdienst ein zentrales politisches Anliegen. Insbesondere sieht sie ihre Aufgabe darin, weiterhin eine hohe qualitative und flächendeckende Versorgung der Tiroler Bevölkerung im Bereich der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransports zu unterstützen, indem sie die Finanzierung des Rettungsdienstes in Tirol über das Land Tirol gemeinsam mit den Sozialversicherungsträger:innen sowie dem Tiroler Gemeindeverband und der Stadt Innsbruck weiterhin sicherstellt.
Die im Land eingerichteten Gremien wie Runde Tische oder Expert:innen-Foren tragen dazu bei, dass die Ziele, insbesondere die fachliche, inhaltliche und qualitative Weiterentwicklung des Tiroler Rettungsdienstes, erreicht werden. Der Landesrätin ist es ein besonderes Anliegen, die flächendeckende Notfallversorgung in Tirol sicherzustellen. Durch die wertvolle Arbeit der engagierten Mitarbeiter:innen sowie zahlreichen ehrenamtlichen Helfer:innen kann sich die Tiroler Bevölkerung in Notfallsituationen oder bei notwendigen Transporten stets auf die schnellst- und bestmögliche Hilfe verlassen. „Als für den Rettungsdienst verantwortliche Landesrätin geht es mir insbesondere darum, gemeinsam ein modernes und innovatives Rettungswesen in Tirol zu gewährleisten“, so Hagele. Für die Zukunft des Rettungsdienstes in Tirol bedeutet dies: „Das System des bodengebundenen öffentlichen Rettungsdienstes der Rotes Kreuz Gemeinnützige Rettungsdienst GmbH hat sich in Tirol bisher mehr als bewährt und soll auch weiterhin in gewohnter Qualität fortgesetzt werden. Dabei möchte ich allen Mitarbeiter:innen sowie allen Ehrenamtlichen danken, die den so wichtigen Rettungsdienst in Tirol flächendeckend und rund um die Uhr ermöglichen“ betont die Landesrätin abschließend.
Titelbild: Ende des längsten, bisherigen Einsatzes für den Rettungsdienst: Am 30. April 2023 wurden alle Aktivitäten rund um die COVID-Pandemie seitens des Rettungsdienstes eingestellt.
Foto: Rotes Kreuz Tirol gemeinnützige Rettungsdienst GmbH/Daniel Liebl