INNSBRUCK, IMST. Das Coronavirus ist seit Wochen das weltweit bestimmende Thema. Die Tiroler Landesregierung hat einen Krisenstab eingerichtet, für den der Oberländer Arzt Dr. Alois Schranz als medizinischer Berater fungiert. Für ihn steht fest: „Wuhan war ursprünglich sehr weit weg. Niemand auf der Welt hätte sich ursprünglich gedacht, dass Corona zu einem derartigen Problem werden kann. Die inzwischen in unserem Land getroffenen Maßnahmen sind jedenfalls alternativlos.“ Im Gespräch mit Oberland DABEI gibt Schranz Einblick in die Entwicklungen der vergangenen Wochen.
OD: Wurde das Coronavirus weltweit unterschätzt?
Schranz: Die Geschwindigkeit der Ausbreitung und die daraus resultierenden Probleme wurden ohne Frage unterschätzt. Wir dürfen aber auch nicht vergessen: Es gibt hunderte von Coronastämmen, die meisten davon sind harmlos. Da muss man differenzieren. Um vorherzusehen, dass sich Covid-19 derart aggressiv entwickelt, hätte man das Buch von hinten lesen müssen.
Krisenmanagement hat schnell funktioniert
OD: Das heißt, mit dem heutigen Wissensstand hätte man anders reagiert?
Schranz: Zweifelsohne! Aus aktueller Sicht würde man einiges anders machen. Nichts desto trotz hat das Krisenmanagement in Tirol von Anfang an sehr gut funktioniert. Hier wurden strikte Maßnahmen zu einem Zeitpunkt umgesetzt, wo anderswo noch deutlich relaxter mit der Thematik umgegangen wurde.
Quarantäne ist derzeit absolut alternativlos
OD: Die von Bund und Land verordneten Maßnahmen sind äußerst restriktiv. Wie bewertest du diese?
Schranz: Die verordnete Quarantäne war und ist alternativlos. Fakt ist, dass wir uns gegenseitig ja alle anstecken. Es geht darum, das Tempo zu reduzieren. Letztlich brauchen wir eine Durchseuchung von Rund 70 Prozent, damit die Herde sozusagen immun wird.
OD: Vielfach wird behauptet, Covid-19 ist für betagte Leute und Menschen mit Vorerkrankungen gefährlich, kann aber jungen Generationen nichts anhaben. Stimmt das?
Schranz: Überhaupt nicht! Die Jugend alleine ist kein Garantieschein. Ganz im Gegenteil müssen wir annehmen, dass diverse Cluster wie Studentenheime oder Party-Locations auch Brutstätten für das Coronavirus sein können.
Sehr hohe Übertragungsraten in Italien
OD: Unser Nachbarland Italien ist besonders von der Pandemie betroffen. Was sind dafür die Ursachen?
Schranz: In Italien wurde das Problem zweifelsfrei durch die dortige Art von Familienverbänden befeuert. Vom Kleinkind bis zur Oma leben alle in Großfamilien zusammen. Da kommt es natürlich viel leichter zu Ansteckungen.
OD: Die Tirolerinnen und Tiroler halten sich auch laut Exekutive sehr gut an die bestehenden Regelungen. Ist damit zu rechnen, dass man das Coronavirus bald unter Kontrolle bekommt?
Schranz: Ich mag den Silberstreif am Horizont noch nicht sehen. Wir sind überzeugt, dass die getroffenen Maßnahmen greifen werden. Aber es wird noch einige Zeit dauern, um abschätzen zu können, wohin die Reise geht.
OD: Glaubst du das die Quarantänebestimmungen tatsächlich am 13. April wieder aufgehoben werden?
Schranz: Auch das lässt sich aktuell nicht abschätzen. Klar ist: Wenn die Bestimmungen zu schnell gelockert werden, steigt das Infektionsrisiko wieder beträchtlich an. Wir werden hier Epidemiologen beiziehen müssen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Viele Dinge werden neu zu bewerten sein
OD: Würdest du auch sagen, dass die aktuelle Situation mit allem bisher erlebten unvergleichbar ist?
Schranz: Von der Dimension her befinden wir uns in einem weltkriegsähnlichen Zustand – halt ohne Bomben und Granaten. Viele Dinge wird man neu bewerten müssen, wenn die Krise überstanden ist. Den Hut ziehen müssen wir alle aktuell vor den Menschen, die als Systemerhalter zählen. Dazu zähle ich übrigens auch die niedergelassenen Ärzte vor Ort, die Unglaubliches leisten.
Das Gespräch führte Peter Leitner