Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen in Oberland DABEI

Menschen mit Behinderungen vor Gewalt schützen

„Menschen mit Behinderungen sind einem deutlich höheren Gewaltrisiko ausgesetzt“, betont Soziallandesrätin Gabriele Fischer. Um dem entgegenzuwirken, müsse ein Fokus auf zielgruppenorientierte Gewaltprävention gelegt werden. Zwei Projekte aus Tirol, die von und für Menschen mit Behinderungen bzw. Lernschwierigkeiten entwickelt wurden, haben Vorbildcharakter.

Tatsache sei, so die Landesrätin, dass Gewalt an Menschen mit Behinderungen immer noch tabuisiert werde: „Es wird nicht oder viel zu wenig darüber gesprochen.“ Dieses Tabu setzt sich auch bei den betroffenen Menschen fort. Viele Frauen und Männer mit Behinderungen wissen über Gewalt nicht Bescheid und haben keine Sprache bzw. Ausdrucksmöglichkeit für das, was ihnen widerfährt. „Psychische, körperliche und sexuelle Übergriffe als Gewalt wahrnehmen und benennen zu können, ist jedoch ein wesentlicher Baustein zur Gewaltprävention“, ist LRin Fischer überzeugt. Dafür brauche es gezielte Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung bei Menschen mit Behinderungen bzw. psychischer Beeinträchtigung sowie bei MitarbeiterInnen in Einrichtungen der Behindertenhilfe und UnterstützerInnen.

Im Rahmen einer Studie des Sozialministeriums zu Gewalterfahrungen von Menschen mit Behinderungen wurde festgestellt, dass mehr als acht von zehn befragten Personen berichteten, bereits zumindest einmal (häufig aber auch öfter) im Leben eine Form psychischer Gewalt erfahren zu haben, sechs von zehn Befragten auch schwere Formen psychischer Gewalt. Knapp acht von zehn der befragten Personen gaben an, schon körperliche Gewalt erfahren zu haben, davon nannten vier von zehn auch schwere Formen körperlicher Gewalt. „Vor allem Frauen und Männer mit sehr hohem Unterstützungsbedarf – beispielsweise bei persönlicher Hygiene und Tätigkeiten wie Nahrungsaufnahme – haben ein besonders hohes Risiko, Gewalt zu erleben“, berichtet LRin Fischer.

Leicht-Lesen-Plakate informieren über Gewalt

Einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung leisten die neuen Plakate von Wibs, einer Tiroler Beratungsstelle von und für Menschen mit Lernschwierigkeiten: Bei der Peer-Beratungsstelle Wibs berichten Menschen mit Lernschwierigkeiten immer wieder von Situationen, in denen sie Gewalt erlebt haben – oft wissen sie nicht, dass sie Gewalt erleben oder kennen keine Begriffe dafür. In einer Arbeitsgruppe wurden daher von Frauen und Männern mit Lernschwierigkeiten zwei Plakate gestaltet: Auf einem Plakat wird erklärt, welche Formen von Gewalt es gibt, auf dem anderen Plakat finden sich Informationen, wo man Hilfe bekommt. 

Die Arbeitsgruppe ist eine Form der Peer Beratung. Diese Arbeitsgruppe und die Erarbeitung der Plakate wurde im Jahr 2020 vom Land Tirol in Höhe von € 17.350,00 gefördert.

Die Plakate sollen nun in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen verteilt werden. „Wir hoffen, dass die Plakate in ganz vielen Einrichtungen hängen werden. Und dass die Plakate den Menschen mit Lernschwierigkeiten, die Gewalterfahrungen gemacht haben, helfen können“, sagt Daniela Pittl, die als Peer-Beraterin mit ihrer Kollegin Aglaia Parth die Arbeitsgruppe bei Wibs geleitet hat.

Sensibilisierungs- und Informationsprojekt „bidok gegen Gewalt“

Bidok ist eine barrierefreie digitale Bibliothek an der Universität Innsbruck und stellt vor allem barrierefrei aufgearbeitete Texte und Materialien zu den Themen Behinderung, Inklusion und Disability Studies zur Verfügung.

2017 wurde – mit maßgeblicher Beteiligung von Männern und Frauen mit Lernschwierigkeiten – ein durch das Land Tirol mit € 15.300,00 Euro gefördertes Sensibilisierungs- und Informationsprojekt in Leichter Sprache zu Gewalt an Menschen mit Behinderungen erarbeitet. „Das Projekt ‚bidok gegen Gewalt‘ zeigt deutlich, dass Gewaltprävention für Menschen mit Behinderungen nur mit der Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen gelingen kann“, betont Projektleiterin Andrea Urthaler. Durch die Partizipation von Frauen und Männern mit Lernschwierigkeiten konnte die Qualität der Materialien – eine Internetseite, ein Info-Heft und ein Video – wesentlich gesteigert und nutzerInnenfreundlich sowie barrierefrei gestaltet werden. „‚bidok gegen Gewalt‘ stieß und stößt auf reges Interesse – wir haben zahlreiche Anfragen aus dem In- und Ausland und viele positive Rückmeldungen erhalten“, berichtet Urthaler. In digitaler Form sind das Info-Heft sowie das Informationsvideo auf http://bidok.uibk.ac.at/leichtlesen/projekte/bidok-gegen-gewalt/ abrufbar.

„Diese Projekte zeigen: Eine Steigerung des Selbstwerts und Empowerments von Menschen mit Behinderungen sind wesentliche Schutzfaktoren gegen Gewalt. „Es muss neben der wichtigen Unterstützung auf der individuellen Ebene aber gleichzeitig auch Maßnahmen gegen strukturelle Gewalt geben“, stellt LRin Fischer abschließend klar.

Titelbild: LRin Gabriele Fischer (Mitte) präsentiert gemeinsam mit v.li. Andrea Urthaler (bidok) und Daniela Pittl (wibs) zwei Vorzeigeprojekte der Gewaltprävention für und von Menschen mit Behinderungen bzw. Personen mit Lernschwierigkeiten.

© Land Tirol/Dorfmann